Inside Autismusverlag - warum braucht es uns überhaupt?

Der heutige Arbeitsmarkt ist auf Menschen ausgerichtet, die "08/15" funktionieren. Alle anderen fallen durch die Maschen. Und landen dann zum Teil bei uns ;-)

Seit der Entstehung des Autismusverlages war es uns ein Anliegen, nicht nur zufriedene Kund*nnen zu haben und mit unseren Produkten zu den Themen "Autismus" und "Unterstützte Kommunikation" betroffenen Menschen, ihren Angehörigen und Fachpersonen das Leben zu erleichtern, sondern auch unseren Mitarbeiter*innen eine Lebensperspektive zu bieten.

Viele unserer Mitarbeitenden haben eine Regelschule besucht, oft mit wenig bis keiner Unterstützung. Manche haben ein Studium oder eine Ausbildung abgeschlossen, manche galten nach der Schule als "nicht ausbildungsfähig". Die meisten haben etwas gemeinsam: Weder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch in "normalen Werkstätten für Menschen mit Behinderung" gelangt es, im Arbeitsleben Fuss zu fassen. Oft blieben sie wochen-, monate- oder jahrelang zuhause. Viele erlebten Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken. Bis irgendwann die Eltern oder immer öfter auch andere Stellen an den Verlag oder unsere Partnerorganisation Workaut gelangen mit der Frage, ob es eventuell möglich wäre, hier zu arbeiten und vielleicht auch eine Ausbildung zu machen. Daher ist aus dem sehr familiären Verlag gemeinsam mit Workaut mittlerweile ein grösserer Arbeitgeber geworden.

Leute, die zu uns kommen, haben im Vorfeld meist mehrere negative Erfahrungen beim Arbeiten gemacht. Oft haben sich zusätzlich Depressionen entwickelt. Unser Ziel ist es, den Mitarbeiter*innen wieder positive Erfolgserlebnisse zu ermöglichen und sie in einen Arbeitsprozess einzubeziehen. Das wird sehr individuell gehandhabt, je nach dem, was für die Person aktuell möglich ist. Dies beginnt schon bei den Arbeitszeiten:

  • Eine Person kommt morgens schon um sieben Uhr. Dann isst sie zuerst in aller Ruhe das bereitgestellte Frühstück; sie ist noch alleine hier. Damit sie nicht noch früher kommt, wird ihr der täglich wechselnde Code für den Schlüsselkasten erst um sieben Uhr automatisch zugeschickt.
  • Eine Person schafft es morgens nicht aus dem Bett. Sie wird erst nachmittags aktiv. Daher kommt sie erst um 17.00 Uhr zur Arbeit. Der aktuelle Praktikant hat entsprechend seine Arbeitszeiten angepasst. Nach drei Jahren ist es möglich, die Arbeitszeit auf 15 Uhr vorzuverschieben. Immer öfter klappt das, aber manchmal auch nicht. Daher werden Aufträge an den anderen Tagen schriftlich hingelegt.
  • Eine Person kommt drei Mal pro Woche für 2 Stunden. Mehr geht aktuell noch nicht. In zwei Wochen wird gemeinsam überprüft, ob nun eine Erhöhung der Stunden schon möglich ist oder noch nicht.

 

Besondere Arbeitsangebote für autistische Menschen beschränken sich oft auf den Informatikbereich. Aber es gibt viele Autist*innen, die mit Computer so viel anfangen können wie die Durchschnittsbevölkerung - nicht besonders viel, was über die alltägliche Anwenung hinausgeht. Darum braucht es unbedingt auch angepasste Arbeiten in anderen Bereichen:

  • Eine Person hat als Erstberuf Schreiner/Tischler gelernt. Wir führen einen Schreinertag ein - jeweils donnerstags bauen einige Mitarbeiter*innen gemeinsam mit einem Sozialpädagogen von Workaut, der gelernter Schreiner ist, Dinge für den Verlag, Workaut und einige Kunden. So entstand zum Beispiel unsere tolle Bar :-)
  • Ein Mitarbeiter arbeitete nach seinem Studium im Journalismus und kommt nach einiger Zeit der Arbeitslosigkeit zu uns. Nun schreibt er, gemeinsam mit unserem Untermieter im Verlag, Texte für die Quartierszeitschrift über den Verlag und Workaut. Der Untermieter bezahlt keine Miete für seinen Arbeitsplatz und unterstützt dafür den Mitarbeiter bei der Strukturierung der Texte.
  • Eine Mitarbeiterin ist handwerklich sehr geschickt und genau. Sie näht gerne. Wir kaufen eine Industrienähmaschine und beginnen, iPad-Taschen zu produzieren.
  • Ein Mitarbeiter braucht Aufgaben, bei denen er schnell ein Ergebniss sieht. Er kann laminieren und genau schneiden. Wir entwickeln verschiedene Mappenaufgaben, die er herstellt und so mehrere fertige Produkte täglich fertigen kann.

 

Normalerweise findet eine strikte Trennung zwischen Arbeiten und Wohnen statt. Wir merken, dass dies oft nicht den Bedürfnissen der Mitarbeitenden entspricht. Daher ist dies bei uns zum Teil - wo gewollt und sinnvoll - fliessender.

  • Ein Mitarbeiter schafft es wegen einer schweren depressiven Phase nicht, morgens aufzustehen und sich auf den Arbeitsweg zu machen. Die Assistenz geht schon um sieben Uhr zu ihm nach Hause und begleitet ihn zur Arbeit.
  • Viele Mitarbeiter*innen essen über den Mittag nichts oder nur wenig, weil die vorgängige Organisation des Mittagessens (zuhause etwas bereitlegen, gegebenenfalls etwas vorkochen) nicht klappt. Wir führen einen "Mittagstisch" ein, zu dem sich die Leute anmelden können, die gemeinsam essen wollen. Nach kurzer Zeit reicht der Tisch in der Küche nicht mehr und wir müssen ein Büroraum zu einem Esszimmer umfunktionieren.
  • Ein Mitarbeiter kocht abends nicht und isst dadurch zu wenig. Sein Gewicht macht dem Arzt Sorgen. Er bekommt nun ein Tupperware mit Essen vom Mittagstisch nach Hause und muss es nur noch aufwärmen.

 

Die Freizeitgestaltung stellt für manchem Menschen eine grosse Herausforderung dar. Der Verlag und das Wohnbegleitteam von Workaut bietet für unsere Mitarbeiter*innen verschiedene Aktivitäten an.

  • Die von den Schreinern gebaute Bar wird jeden Freitag zur "Feierabendbar". Leute aus der Bürogemeinschaft, von Workaut und dem Verlag treffen sich, um gemeinsam das Wochenende "einzuläuten".
  • Aus dem Skitag entwickeln sich Skiferien. Mehrere Mitarbeiter*innen des Verlages nehmen jährlich daran teil. Auch Sommerferien werden seit zwei Jahren angeboten.
  • Die geplanten Harry-Potter-Filmabende sind coronabedingt aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.
  • Herbstfest, Samichlausabend, Weihnachtsessen etc. gehört schon länger fest zu unseren Ritualen. Auch hier gilt - 2020 ist halt leider alles etwas anders.

 

Dass sich die ganze Arbeit lohnt, zeigen uns Rückmeldungen von Angehörigen unserer Mitarbeiter*innen wie die einer Mutter, der wir von der positiven Entwicklung ihres Sohnes berichtet haben und die darauf hin zurückschreibt:

"Diese Zeilen zu lesen ist für mich das schönste Weihnachtsgeschenk überhaupt. Ich danke Ihnen für all die anfänglich sehr schwierige Zeit, die Sie mit ... hatten, welche alle im Verlag forderte und durch die ein erneuter Klinikaufenthalt verhindert werden konnte."

 

 

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